Mittwoch, 6. April 2016

Es gelingt mir nicht gut, den Unterschied zu erzählen


Robert
15 Jahre
frühkindlicher Autismus, Epilepsie




Fräulein S.
16 Jahre
ohne Zugaben, die den Lebensweg erschweren












Es fällt mir immer mal wieder auf, dass es nicht so rüberkommt wenn ich von Roberts Verhalten erzähle.

Es soll kein Meckern sein
kein "ich jammere nun aber mal!"
kein Wunsch nach Mitleid fürs Kind oder gar mich .....

Fräulein S. ist die jüngste Dame meiner Kinder. Drei plus 1 (Michaels Christian) sind schon GROSS!
Sie haben die Schulen hinter sich, haben Berufe, mit und ohne Studium. Vier Enkelkinder haben mich schon lange Zeit zur Oma gemacht.
Da ich die Älteste von fünf Kinder war weiss ich genau wie die Pupertät das Familienleben durchrüttelt.
Schon immer würde ich fast sagen.
Ich habe immer jüngere Kinder um mich gehabt. Dann irgendwann immer Pupertierende.

Und dann kam Robert.
Der Jüngste, mit seinen Zugaben.

Wenn ich nun  Fräulein S. und Robert vergleiche, wird sehr deutlich was "frühkindlicher Autismus" bedeutet.

Beide in der Pupertät.

Schau ich zurück auf  Susanne mit 15 (die Erinnerungen sind noch sehr nah!), dann:

Seh ich ein Mädel, dass Freundinnen und Freunde hat.
Selbstständig den grössten Teil der Tage lebt.
- mitdenkt, mitentscheidet
- gut oder schlecht
- richtig oder falsch
- wichtig oder unnötig
- ernst oder nicht ....
usw. etc.

Alles das kann sie alleine, oder wenn sie mag, mit Hilfe von uns entscheiden, beurteilen, danach handeln, leben.
Sie weiss wann man essen, duschen, schlafen sollte  (zumind theoretisch :-), aber das ist ein anderes Thema!)
Sie kann allein zu Hause bleiben.
Draussen geht sie nicht verloren.
Kino mit Freundinnen
Schwimmbad, Eislaufen und mehr wird gemacht
freie Tage werden selbst geplant, organisiert
Sie weiss, dass Eltern das letzte Wort haben! Dass diskutiert werden kann und darf, und wann Schluss ist damit wenn Eltern "Punkt, aus!" sagen. Sie akzeptiert so gut wie immer, manchmal erst nach Tagen, die Erklärung. Passt schon, ist gut so!
Sie geht mit dem Telefon, Computer, Smartphone um.
Sie kocht sich ab und zu etwas, schaltet den Herd aus, räumt wieder auf nach dem Tun.
Kümmert sich um die Tiere
Könnte tagelang allein für sich sorgen, wenn Mama und Papa verloren gehen .... kann sich Hilfe suchen, holen!
Die Liste kann noch verlängert werden, aber das wisst Ihr ja selber was Jugendliche alles Tolles können!

Schau ich auf Robert, auch er ist nun 15 Jahre alt, dann:

- Seh ich einen Buben, der keine Freunde hat
- auf eine sehr eigene Art mitdenkt
- gut oder schlecht
- richtig oder falsch
- wichtig oder unnötig
 ernst oder nicht ....
usw. etc.

Alles das und mehr, kann er nicht alleine!
Er würde entweder gar nicht essen, duschen, schlafen oder im Übermaß
Er kann und darf nicht alleine zu Hause bleiben
Draussen geht er oft verloren, rennt oder radelt drauf los und hört nicht mehr wenn er gerufen wird.
Kino nur mit Begleitung
Schwimmbad, Eislaufen und noch mehr ... nur mit erwachsener Begleitung!
freie Tage kann er nicht planen, organisieren
Er kann  nur wenig mit Telefon, Computer oder Smartphone umgehen. Wir üben tagtäglich.
Er kocht! Gut und fein. Aber .... es muss eine Betreuung mit im Raum sein. Der Herd, das laufende Wasser, die Mengen an Mayo, Salz, Essig ....
Robert kümmert sich um Tiere weil er es unbedingt tun will. Aber auch da: Eine Begleitung ist nötig. Sonst läuft der Hund davon, weil er zum 100Mal die Leine abgemacht hat (Jacky ist so süss, sie hat mich so angeschaut, sie will einfach alleine laufen!) Unser Hund läuft weg, hört nicht auf Roberts Kommandos.
Die Katze, wird geliebt! Und wie! Sehr oft muss sie aus Kisten oder Schränken befreit werden, weil sie da drinnen vergessen wurde. "Sie ist allein hinein gehüpft, sie hat geschnurrt!" Tiere gehen immer auf ihn zu, lieben ihn trotz seines Anders-sein. Und doch muss man aufpassen was ihm einfällt.

Robert kann sich nicht einen Tag allein versorgen, würde sich keine Hilfe holen.
Fernsehgerät an ... und da sitzt er dann für Stunden, oder die ganze Nacht.
Und dann kommen Tränen, Ängste. (Er kommt nun nicht mehr ins Bett zu uns. Schon ein paar Wochen ist das vorbei, aber er guckt mehrmals in der Nacht ins Zimmer, ob wir da sind!
Wir können und wollen das nicht ausprobieren. Kleine Erlebnisse gibt es genug.
 Robert alleine ---- geht nicht!
Vielleicht ist es deshalb so seltsam zu lesen im letzten Post, warum ich lange Ferientage mit ihm unterwegs bin wie mit einem kleine Kind. Und dann kommt auch bei ihm die Pupertät, das passende Alter für den Freiheitsdrang durch ... und das bekommt dann die "Begleitperson" ab. Nein, nicht immer nur ich, oder der Papa. Auch die Betreuer/innen der Kurzzeitpflege kennen das gut, wie laut und böse und unangenehm Robert werden kann, wie sehr er Pläne aufmischt "wenn er GROSS sein will!"

Anstrengend.
Tag für Tag schaffen wir das!

Manchmal träumen wir der Robert-Papa und ich. Auch Susanne träumt mit.
Der Traum, das Spiel heisst:
"Was wäre jetzt und heute wenn Robert kein Autist wäre?"
Dann erzählen wir uns wie und was Robert wäre, tun würde ....
Gymnasium, Realchule, Mittelschule?
Fussballer?
Jeden Tag Freunde da, oder er ständig unterwegs?
Skateboard, Inliner?
Immerzu im Freibad, am liebsten ab April?
Welche Frisur?  Was trägt er?
Dann nehmen wir schief gegange Erlebnisse und träumen sie um in Begegnungen: "Robert ohne Autismus!"
Und dann stellen wir immerwieder fest
 wir DREI der Restfamilie,  die Tag für Tag mit Robert leben:
Es sind Träume, die gut, wichtig und erwünscht sind!
Aber:

Wir wollen nicht unseren Robert verlieren, der so ist wie er ist. 
Wir würden ihn verlieren wenn der Traum Wirklichkeit würde.
Denn trotz aller unschönen Erlebnisse ist er wirklich 
EINMALIG,  ein wertvoller Mensch.
Es ist zu schaffen mit ihm zu leben
Es ist zu schaffen mit Hilfe
Kurzzeitpflege, Schule, Therapeuten, eine ganz besondere Ärztin des SPZ

Ja, und Menschen, die ihn mögen.
Die ihn akzeptieren, 
die ihm helfen zu unnormales Tun, Reden, Handeln zu verstehen, einzugrenzen.

Und wenn Ihr uns mal im "echten Leben" zufällig trefft, dann wisst Ihr warum Robert so ist wie er ist. Und müsst nicht schimpfen über das nicht erzogene Kind, das es früher nicht gegeben hätte!

Das hätte nun fast ein Post zum Welt-Autismus-Tag letzte Woche werden können. Da hab ich hier nichts geschrieben, das war ich wortlos. Ja, auch das kommt vor.
 



19 Kommentare:

  1. Das ist ein ganz toller Post von Dir!
    Wie gut du das beschreibst!
    Ganz liebe Grüße!

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  2. Danke, liebe Elisabeth, für's erzählen.
    es war sehr anschaulich und ich konnte mir vieles gut vorstellen.

    Gut, dass Robert eine Familie wie euch hat!
    Ich wünsche euch für jeden Tag immer die nötige Kraft und gute Nerven!

    Liebe Grüße
    elsie

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  3. ihr macht das alle wunderbar. und aus der ferne, in deinen beschreibungen ist robert so ein besonderer mensch. anstrengend, aber auch so bemerkenswert.
    liebe grüße zu euch allen
    ingrid

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  4. Danke Elisabeth! Was ihr schafft ist einfach großartig. Ich hoffe und wünsche euch allen, dass es für Robert einmal einen Platz geben kann, wo er auch etwas tun kann, das er schafft und das ihn freut, ob mit oder ohne Begleitung, vielleicht ist ja noch eine Enteicklung in Richtung mehr Selbständigkeit möglich. Das würde ich euch allen sehr wünschen, auch ihm natürlich. Bleib wie du bist, du machst das großartig und sollte einmal etwas so rüberkommen, dass du dich unverstanden fühlst denk dir einfach, dass wir alle es niemals so genau nachvollziehen können wie es mit ihm ist, nur eventuell diejenigen die in einer ähnlichen Lage sind. Jeder Post von dir könnte dazu helfen mehr Verständnis dafür zu bekommen, wie es einer Familie mit einem besonderen Kind in seiner Mitte geht!
    Ganz herzliche Grüße
    Elisabeth

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  5. Liebe Elisabeth,
    Susanne hatte eine super Pubertät, wie unsere Tochter.
    Tja, Robert ist nicht einfach; aber einmalig.
    Ist mir klar, dass ihr ihn liebt. Ihr kennt ihn, und das ist gut.
    deine Bärbel

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  6. Jedes Kind ist anders, und doch vergleichen wir und werten, auch als Eltern, wohl wissend, dass das falsch ist und doch lieben wir unsere Kinder und haben sie am liebsten wie sie sind <3

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  7. Liebe Elisabeth,
    du hast den Vergleich, den du toll herausgearbeitet hast. Aber Susanne lebt das Leben eines normalen Teenagers, während Robert in seiner Welt lebt. Ihr mcht das aber einfach gut - und Robert ist wie er ist. Ihr müsst ihn so akzeptieren.
    Eine sonnigen Wochenteiler wünscht dir
    Irmi

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  8. Sehr gut hast du das geschrieben, Elisabeth!
    Das sollte eine Zeitung drucken!
    Bei unserem Jüngsten hier sehe ich auch gewisse Zeichen.
    Der Kinderarzt sagte heute: Seien Sie froh, dass er nicht doof in der Ecke liegt! - Wahrlich, das tut er nicht...

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  9. Liebe Elisabeth,
    danke für dein Post...du/ihr macht es soo klasse!..und ja, Robert ist einmalig- und wie schön, das Robert eine Familie wie Euch hat!

    Liebe Grüße
    Klaudia

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  10. Hallo liebe Elisabeth, die Erzählungen in den Posts über euren Alltag mit Robert lese ich stets gerne, über alle Maßen bewundernd!

    Und heute die Gegenüberstellung zeigt die vielfachen Unterschiede zwischen Robert und Susanne deutlich auf.

    Aus meinen Kunstkursen in Kloster Holzen mit behinderten Menschen und mit der letzten Kunstauschreibung bei den Maltesern bekam ich einen ziemlichen Eindruck, was das heißt. Nur dauerten die einzelnen Kurse ca. zwei Stunden, und nicht den ganzen Tag und die Nacht...

    Mit sonnigen Grüßen, Heidrun

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  11. Das hat mich eben sehr angerührt beim Lesen und ich bewundere deine Offenheit, Elisabeth, deine Ausdrucksfähigkeit und die wunderbare Art, wie ihr gemeinsam mit euerm Robert die Höhen und Tiefen durchlebt und meistert.
    Davor habe ich grossen Respekt!

    Alles Liebe und Gute wünscht euch,
    Brigitte

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  12. Erstaunlich wie du durch diese 2 Fotos anschaulich zeigst was der Post in Worten sagt!
    Das fiel mir schon oft auf, dass du in bildern ausdrückst!
    Bau um euch ein Netzwerk auf damit euch noch Jahre die kraft bleibt!
    Alles gute
    Anja

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  13. Hallo Elisabeth,
    gut beschrieben. Ich denke, viele können sich kein Bild machen, wie es ist, mit so einem Kind zu leben. Das ist ja auch in anderen Bereichen des Lebens so, man kann die Dinge oft erst beurteilen, wenn man sie selbst erlebt hat.
    Und dann ist ein frühkindlicher Autist auch nochmal wieder etwas anderes als ein Asperger-Autist z.B.
    Ich kann meinen Sohn schon alleine lassen, er ist vernünftig. Er kann so einiges inzwischen gut und selbständig (Waschmaschine anstellen usw.) - auch ohne Beaufsichtigung.
    Bei ihm sind es wieder andere Dinge, die das Leben mit ihm (dem Aspi) schwer machen, sehr schwer derzeit mal wieder.
    Diese Auf und Abs... diese Stimmungen, sie übertragen sich auf mich und machen es mir mitunter sehr schwer.
    Ich kann nicht in den Urlaub fahren (ich würde sooo gerne reisen), weil er damit nicht umgehen kann... ich fühle mich manchmal fremdbestimmt... nicht mein Leben...
    Und heute, da war ich in einem Supermarkt direkt gegenüber von dem Gymnasium, in welches mein Sohn in der 5. Klasse ging... da war große Pause und ca. 100 Schüler "stürmten" diesen Laden... als ich die so in Massen sah, zudem noch aus DER Schule meines Sohnes, da kamen mir schon etwas die Tränen, weil mir mal wieder deutlich wurde, dass er nicht so ist wie die... er wird nie so das in der Pubertät erleben, wie die es tun.. das stimmt einen schon manchmal traurig.
    So geht es dir ja auch.
    Mein Sohn sieht für sich selbst auch oft keine Zukunft, weil er nicht weiß, wie er mit der Überreizung der Umwelt klarkommen soll... er hat zwar jetzt (in der 9. Klasse) seinen Schulabschluß gemacht, aber er ist ja extrem ehrgeizig, will Abi machen, nur: wie??
    Aber so ein frühkindlicher Autist ist im Grunde nochmal mehr auf Mithilfe im Leben angewiesen. Und ihr seid noch mehr eingespannt mit ihm, weil ihr ihn nicht aus den Augen lassen könnt.
    Das ist definitiv nicht einfach.

    Komischerweise ist mir der Weltautismustag dieses Mal total entgangen, tz... dachte erst am Montag daran...

    Viele liebe Grüße von Ann

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  14. ((eigentlich schade, daß du das so ausführlich schreiben musst, daß dir nicht "einfach so" geglaubt wird, daß robert mehr als nur ein "schwieriges kind" ist.))

    der schönste satz ist der: "Wir wollen nicht unseren Robert verlieren, der so ist wie er ist." <<<333

    wenn ich lese, wie ihr mit ihm umgeht, was ihr ihm alles ermöglicht (denn ja, das tut ihr, auch wenn euch selbst nicht das möglich ist, was ihr euch wünschen würdet), dann kann ich nur sagen, daß ihr mit ihm auf einem ganzganz guten weg seid.
    die autistischen menschen, mit denen ich beruflich zu tun habe, sind alle schon viel älter, und zu der zeit als bei ihnen der autismus offenbar wurde, steckte das wissen darum und den umgang damit, die hilfsmöglichkeiten, noch absolut in den babyschuhen. dadurch haben viele im ersten lebensjahrzehnt oder länger kaum adäquate förderung erhalten können, sind in der psych gewesen mit starken medis, haben nicht lernen können sich auszudrücken (egal ob mit worten oder gesten/bildkarten o.ä.)etc., und das hat ihnen das leben manchmal unsäglich schwer gemacht.

    ja, robert hat es schwer und ihr mit ihm, aber ihr gebt ihm so unglaublich viel mit auf den weg, da wird er sein leben lang von zehren.

    herzliche frühlingsgrüße!

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  15. Liebe Elisabeth
    Es ist so wertvoll, was du hier schreibst. Du hilfst mir eindeutig, Autismus besser zu verstehen. Immer wieder trifft man auf Mitmenschen, die ein autistisches Familienmitglied haben und noch nie vorher habe ich so gut verstanden, was es eigentlich bedeutet. Obwohl ich mir eure Situation bestimmt nur ansatzweise vorstellen kann, lerne ich mehr und mehr dazu.
    Herzlichen Dank dafür!
    Anita

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  16. Liebe Elisabeth,
    doch, du hast es sehr gut erklärt. Ich habe gerade in beide deiner Blogs gelesen, es hat mich sehr berührt.
    Ich hatte das "Glück" als junges Mädchen, im Ausland bei einer Gastfamilie mit behinderten Kind als Au-Pair sein zu dürfen. Freiwillig verlängerte ich das halbe Jahr auf 13 Monate und habe heute noch Kontakt.
    Was ich unter anderem gelernt habe liebe Elisabeth; die Angehörigen sollten sich niemals entschuldigen, sondern die sogenannten Mitbürger sollen nicht so schnell urteilen und durch ihre Unwissenheit falsch handeln.
    Ich kann nur sagen, was ihr macht ist großartig und Hut ab!
    Übrigens, wir leben hier ländlich und oft sehen wir gelbe offizielle Verkehrsschilder, die darauf hinweisen, dass in der Gegend jemand mit Autismus lebt.
    Ich wünsche euch viel Spaß mit allen schönen und besonderen Momenten im Alltag!
    Herzliche Grüße
    Ella

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  17. So schön, so traurig, so liebevoll geschrieben! Danke fürs Schreiben!
    Viele liebe Grüße Jonna

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  18. Danke dir sehr für diesen zu Herzen gehenden Post.Fein dass ihr so gut zusammen haltet. Das erdet den Robert doch sehr. Er spürt schon wie er von allen geliebt wird und das ist das wichtigste. Danke liebe Elisabeth weiterhin viel Kraft wünsche ich dir .LG Ilse.

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  19. Jeder Mensch ist einmalig liebe Elisabeth. Und der Robert ebenfalls. Das hast Du wundervoll geschrieben ♥♥♥

    Liebe Grüße Sabine

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